Dies & Das
10 Jahre Einsiedeln anderswo – eine Brücke über den Atlantik
Zehn Jahre ist es her, als das Projekt «Einsiedeln anderswo» mit einer ersten Reise in die USA begonnen hat. Das einzigartige Projekt zeigt, wie lebendig Geschichte sein kann. Noch heute reisen regelmässig US-Amerikaner zur Heimat ihrer Vorfahren, wie kürzlich die Familie Schoenbaechler.
Im Frühjahr 2015 reiste ein vierköpfiges Team aus Einsiedeln nach Louisville, Kentucky. Ihr Ziel: Die Spuren jener Landsleute zu finden, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert aus dem Klosterdorf und Umgebung in die USA ausgewandert waren – und zu klären, wie ihre Nachfahren heute leben. Was damals als Recherche begann, ist heute ein lebendiges Austauschprojekt mit Buch, Film, Website, Reisen und zahlreichen persönlichen Begegnungen. Zehn Jahre später ist «Einsiedeln anderswo » weit mehr als ein Forschungsprojekt – es ist ein emotionales Brückenwerk über den Atlantik hinweg.
Namen im Telefonbuch als Ursprung des Projektes
Bereits 2006 hatte die Journalistin Susann Bosshard-Kälin bei einer Reportage für die NZZ in St. Meinrad, Indiana – einem Tochterkloster des Klosters Einsiedeln – erstmals Nachkommen von Einsiedler Auswanderern getroffen. 2015 nahm sie den Faden wieder auf: In Louisville stiess sie im Telefonbuch auf auffällig viele Namen mit Einsiedler Ursprung – Fuchs, Kaelin, Zehnder, Bisig, Schoenbaechler, Birchler, Oechslin, Lacher. Daraus entstand das Projekt «Einsiedeln anderswo». Mit dabei damals: der Historiker Heinz Nauer, der Fotograf Paolo de Caro und die Kamerafrau Martina di Lorenzo. Gemeinsam suchten sie in Louisville und Umgebung nach der Gegenwart der einstigen Auswanderer.
Unerwartete Resonanz
Was sie in Louisville vorfanden, übertraf alle Erwartungen: Statt der erhofften 30 kamen 84 Nachfahren von Einsiedler Familien zum ersten Infoabend – ein eindrückliches Zeichen für das grosse Interesse an den eigenen Wurzeln. Viele der Nachkommen hatten die Schweiz noch nie besucht, fühlten sich aber eng mit ihrer Herkunft verbunden. Sie zeigten Stammbaumdokumente, alte Fotos, Gebetbüchlein und erzählten bewegende Geschichten. Über 65 Familien füllten detaillierte Fragebogen aus, auf deren Grundlage das Team Interviews führte, Archive sichtete und erste Film- und Fotoaufnahmen machte. Die Erträge flossen später in eine zweisprachige Website und einen Filmtrailer. Die Brücke war gebaut – zumindest digital.
Das Herz des Projekts: Begegnungen
Doch «Einsiedeln anderswo» blieb nicht bei Archivarbeit und Medienproduktion stehen. Der zentrale Gedanke war von Anfang an: Begegnung ermöglichen. Und so folgten in den Jahren darauf weitere Reisen – auf beiden Seiten des Atlantiks. 2016 rückten Einzelschicksale in den Fokus, etwa jenes von Kathleen Kaelin, einer Psycho-login und Ursulinenschwester aus Louisville, die tief bewegende Worte für ihre Wurzelsuche in Euthal fand. Ihre Geschichte zeigte: Die Suche nach Herkunft ist oft auch eine persönliche Reise ins eigene Innere. «Als ich auf meiner zweiten Reise im Zug von Einsiedeln zurück an den Flughafen Kloten fuhr, begann ich zu weinen», sagte Kaelin damals Susann Bosshard-Kälin. 2018 folgte eine grosse Reise einer Delegation aus Einsiedeln mit Bezirksammann Franz Pirker in die USA – mit Stationen in New Glarus, Chicago, St.Meinrad und Louisville. Dort feierte man gemeinsam den Schweizer Nationalfeiertag – mit Musik, Käse aus Einsiedeln und einer tiefen Verbundenheit. 2019 kamen dann fünf Mitglieder der Familie Marty-Kälin aus Willerzell nach Louisville – ein Besuch, der zur tränenreichen Familienzusammenführung wurde. Viele Nachfahren wussten bis dahin nicht, dass es Verwandte des Ozeans gibt.
Und dann kam der Gegenbesuch
2022 war es schliesslich so weit: Eine 20-köpfige Delegation aus Louisville besuchte Einsiedeln. Viele reisten zum ersten Mal in die Heimat ihrer Gross- oder Urgrosseltern. Empfang im Rathaus, Besuch der Herkunftshäuser, zahlreiche Begegnungen, Teilnahme an der Viehausstellung – es war ein emotionaler Höhepunkt des Projekts. Der Austausch war keine Einbahnstrasse mehr, sondern eine lebendige Verbindung. «Die Leute waren zu Tränen gerührt», berichtete Genealogin Annemarie Fässler. Sie hatte die Stammbäume der Besucherinnen und Besucher erstellt – und so den Weg geebnet für persönliche Begegnungen und eine neue, gelebte Familiengeschichte.
Bücher, Film und eine Brücke aus Erinnerungen
Neben der Website (www.einsiedeln-anderswo.ch) entstanden ein englisches und ein deutsches Buch, die das Projekt dokumentieren. Auch der Dokumentarfilm «Auf den Spuren der Identität?» von Claudia Steiner wurde in den USA gezeigt – unter anderem in Monroe, Chicago und Louisville. Mit «Einsiedeln anderswo» hat Susann Bosshard-Kälin, die 2023 den Einsiedler Kulturpreis erhielt, ein Stück lebendige Migrationsgeschichte geschrieben – sensibel, einfühlsam und mit klarem Blick für die Bedeutung von Erinnerung, Herkunft und Begegnung.
Zehn Jahre später
2025 – zehn Jahre nach Projektbeginn – ist die Brücke zwischen Einsiedeln und Louisville fester denn je. Regelmässig reisen Menschen von den USA nach Einsiedeln, um die Häuser ihrer Vorfahren zu sehen. So Mitte Juli die Familie Schoenbaechler aus Louisville (siehe Bilder). Nebst einem Aufenthalt in Italien standen auch Besuche von ehemaligen Austauschschülern in Deutschland auf dem Programm. Ein besonderer Halt ihrer Europa-Reise war am Donnerstag, 17. Juli, in Oberegg. Dort steht das Bauernhaus, in dem Alphonse Gottfried und Martin Joseph Schönbächler in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgewachsen sind. Alphonse Gottfried Schoenbaechler wanderte zu Beginn der 1880er-Jahre zusammen mit seinem Bruder nach Louisville aus, wo ersterer Josephine Schoenbaechler traf, und sich in sie verliebte. Martin Joseph lernte in Louisville Josephine Kaelin kennen und gründete mit ihr eine Familie. Geführt wurde die Tour von Susann Bosshard-Kälin, begleitet von der Genealogin Annemarie Fässler sowie von Hansruedi Fässler. Die Familie Schoenbaechler war begeistert von ihrem Besuch in Oberegg. «It was really magical», fasst Cory ihren Besuch zusammen. Thomas freut sich schon darauf, das Familien- Foto vor dem Haus ihrer Vorfahren daheim aufzuhängen und den Besuchern zu zeigen. «Ich hatte eine tolle Zeit und ich werde versuchen, in Louisville die Leute zu treffen, die ebenfalls Vorfahren in der Gegend um Einsiedeln haben. Die tref-fen sich regelmässig, etwa auch zum Schweizer Nationalfeiertag », sagte der sichtlich erfreute Besucher aus den USA. In den nächsten Monaten werden noch weitere Familien aus Louisville auf den Spuren ihrer Vorfahren nach Einsiedeln reisen – Zehnders und Oechslins sind bereits angemeldet!
Einsiedler Anzeiger / Lukas Schumacher
Autor
Einsiedler Anzeiger
Kontakt
Kategorie
- Dies & Das
Publiziert am
Webcode
www.schwyzkultur.ch/jaVdVi