Urs Fink (SRG Schwyz, Zweiter von links) leitete das Gespräch mit Michael Krummenacher (Drehbuch und Regie, links aussen), Dimitri Krebs (Hauptrolle, Zweiter von rechts) und Stefan Gubser (rechts aussen). Foto: Eugen von Arb
Urs Fink (SRG Schwyz, Zweiter von links) leitete das Gespräch mit Michael Krummenacher (Drehbuch und Regie, links aussen), Dimitri Krebs (Hauptrolle, Zweiter von rechts) und Stefan Gubser (rechts aussen). Foto: Eugen von Arb

Film

Ein himmeltrauriges Schicksal in himmeltraurigen Zeiten

Der Film «Landesverräter» von Michael Krummenacher, der an einer Vorpremiere in der Einsiedler Cineboxx präsentiert wurde, verarbeitet auf eigenwillige, aber gelungene Weise ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte.

Juni 1940: Gerade haben Hitlers Armeen den grössten Teil Skandinaviens, die Benelux-Staaten und Frankreich überrannt. In der Schweiz, die nun von den Achsenmächten eingekreist ist, herrscht Panik. Diese wird zwar mit «Wehrhaftigkeit» kaschiert, doch in Wirklichkeit arrangieren sich die höchsten Kreise der Schweizer Politik und Wirtschaft mit Hitler, um nicht auch noch «geschluckt» zu werden und weiterhin gute Geschäfte zu machen. In diesen Tagen kommt der junge Landstreicher Ernst Schrämli (Dimitri Krebs) nach St. Gallen. Aus einer armen Bauernfamilie stammend, ist er ohne Mutter und mit alkoholsüchtigem Vater aufgewachsen, später im Heim «versorgt» und unter Vormundschaft gestellt worden. Ohne jemals eine echte Chance gehabt zu haben, ist er bereits in jeder Beziehung gescheitert. Der Teufelskreis, in dem Schrämli steckt, erinnert an das Elend, das Friedrich Glauser in seinen Romanen der Dreissigerjahre beschreibt. Und trotz all dem erlaubt sich der junge Mann zu träumen, was ihn zur leichten Beute des Nazis August Schmid (Fabian Hinrichs) macht, der ihm verspricht, ihn in Berlin zum Starsänger zu machen. Der naive Schweizer ist bereit, für diese «Flucht» jeden Preis zu zahlen. Zuerst verrät er dem Mitarbeiter der Deutschen Vertretung in St. Gallen militärische Stützpunkte, dann stiehlt er Granaten aus dem Munitionsdepot seiner Kompanie. Mit der Zeit geht er eine sexuelle Beziehung mit Schmid ein. Gleichzeitig verliebt er sich in die Fabrikantentochter Gerti Zanelli (Luna Wedler), sagt sich aber von ihr los, als sie schwanger wird. Alles ist Flucht – raus aus dem Elend, raus aus der Realität. Diese endet abrupt mit der Verhaftung des «Landesverräters », seiner Verurteilung und Hinrichtung im November 1942. Noch versucht Schrämlis Vormund Roman Graf (Stefan Gubser), Polizeikommandant von St. Gallen, den Verurteilten zu einem Gnadengesuch zu überreden, doch entscheidet sich dieser für die «Freiheit durch den Tod». An einem «asozialen Subjekt» wird ein Exempel statuiert. 

 

Gesang als zentrales Element

Das jüngste Werk von Micheal Krummenacher (Drehbuch und Regie) ist erschütternd – wenn auch sein Inhalt bereits 1976 durch den skandalösen Dokumentarfilm «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S». von Richard Dindo und Niklaus Meienberg bekannt wurde. Es ist ein starkes Stück mit starken Figuren gegen das Vergessen einer «unangenehmen Episode » in der Schweizer Geschichte, die leider typisch für das gesamte Verhalten der Eidgenossenschaft in Kriegszeiten war: Während man Flüchtlinge an der Grenze zurückschickte und Jagd auf kleine «Verräter» machte, liess man Nazi-Agenten im eigenen Land frei gewähren und machte gute Bank- und Rüstungsgeschäfte mit dem Reich. Krummenachers Film kann als Gegenstück, als freie Interpretation zum Dokumentarfilm aus den Siebzigerjahren gesehen werden. Dieselbe Geschichte wird neu erzählt, versehen mit Krummenachers Handschrift. Als zentrales Element wählt er den Gesang. Nicht nur der tragische Held singt nach Kräften, sondern alle, am Ende gar ganze Polizei- und Soldatenchöre. Der Gesang erscheint als Ausdruck von Sehnsucht, «aus der eigenen Haut zu fahren» und ihrem von der engstirnigen Gesellschaft vorgegebenen Schicksal zu entgehen. Die Fabrikantentochter, die nicht heiraten will, der Polizeikommandant, der niemanden einsperren will, die Soldaten, die nicht schiessen wollen – sie alle flüchten sich im Moment der höchsten Verzweiflung in eine Art meditativen Gesang. Diese übersinnliche Ebene kontrastiert hart und wirkungsvoll mit der authentischen Darstellung der Charaktere und des verhängnisvollen Geschehens.

 

Viel Lob aus dem Publikum

Im anschliessenden Gespräch, das Urs Fink (SRG Schwyz) mit Michael Krummenacher, Stefan Gubser und Dimitri Krebs führte, erhielt der Film viel Lob aus dem Publikum. Insbesondere die traurige Aktualität, die der Film durch den Ukraine-Krieg und die wankelmütige Rolle der Schweiz erhielt, wurde angesprochen. Michael Krummenacher schilderte, wie er sich während der jahrelangen Vorbereitungsphase bemühte, eine Zusammensetzung von Darstellerinnen und Darstellern mit «frischen Gesichtern» zu finden. Dazu gehörte auch das «Risiko », den Laien Dimitri Krebs für die Hauptrolle auszuwählen, was sich aber zweifellos als Glücksgriff erwies. Ebenso schilderte Krummenacher die teils schwierige Recherche in den Archiven und wie er im Verlauf der Zeit selbst zum «Historiker» geworden sei. Thematisiert wurde auch die Demokratie, die heute wie damals durch totalitäre Systeme in Gefahr geraten ist. In diesem Zusammenhang machte Fink als SRG-Vertreter auf die Wichtigkeit der Meinungs- und Medienvielfalt aufmerksam.

 

Einsiedler Anzeiger / Eugen von Arb

Autor

Einsiedler Anzeiger

Kontakt

Kategorie

  • Film

Publiziert am

22.10.2024

Webcode

www.schwyzkultur.ch/ct5n7F