Musik
«Den Teufel gibt es nicht»
Am 4. September tritt Stiller Has im Mauz Music-Club in Einsiedeln auf – dem Coronavirus zum Trotz.
Im Mai machte Corona dem Auftritt von Stiller Has in Einsiedeln einen Strich durch die Rechnung. Nun kommt Endo Anaconda doch noch einmal ins Klosterdorf. Zum letzten Mal – bevor Stiller Has definitiv die Lichter löscht. Der 64-jährige Sänger und Schriftsteller steht Red und Antwort.
Magnus Leibundgut: Jetzt klappt es doch noch: Stiller Has treten erneut in Einsiedeln auf. Kommen Sie gerne zurück?
Endo Anaconda: Ja. Es ist an der Zeit, wieder die Schwarze Madonna in der Klosterkirche zu besuchen, um den Segen für die Welt zu erbitten. Deren Zustand ist ja nicht zuletzt wegen Corona erschreckend.
Auch für die Künstler und Musiker war das ja eine prekäre Zeit, die hinter uns liegt. Wissen Sie noch, wieso Ihr Auftritt mit Stiller Has im März 2018 in Einsiedeln in die Geschichte einging?
Ich wusste nicht einmal, dass es in Einsiedeln überhaupt einen Klub gibt. Schliesslich war das Spielen im Music-Club Mauz sehr angenehm. Umso mehr freue ich mich, wieder dort aufzutreten. Mauz heisst ja Maudi: Und ein Kater hat gleichsam eine doppelte Bedeutung (lacht). Die Katze ist ein schwer zu domestizierendes Tier, das man unter Kontrolle zu halten hat, damit sie nicht zu viele Vögel frisst. Sie ist ein Wesen, das den Teufel bedeuten kann oder auch den inneren Sauhund.
Was verbindet Sie mit dem Klosterdorf?
Das Kultische. Ich entstamme ja einem tiefschwarzen Milieu und bin in meiner Kindheit und im Internat sehr vom Katholizismus geprägt worden. In meiner Jugend habe ich dann die Religion gewechselt und bin Kommunist geworden. Unterdessen glaube ich nur noch, dass der Mensch die Zeit erfunden und entdeckt hat. Ich bin ein Zweifler und aus allen Kirchen ausgetreten.
Nach Ihrer Tournee werden definitiv die Lichter gelöscht. Ist das Ihre letzte Tournee, weil Sie jetzt schliesslich ins Pensionalter eintreten?
Das ist illusorisch! Ich werde spielen, bis ich im Grab liege. Aus Stiller Has wird dann einfach Has. Dank Corona ist eh klar geworden, dass in einem kleinen Klub zu spielen mehr Sinn und Spass macht als im Hallenstadion. Zudem ist doch der Rock’n’Roller-Star längst überkommen und nichts anderes als eine Pose.
Können Sie das Schreiben, Texten, Komponieren ohne Probleme loslassen?
Überhaupt nicht. Jeder Mensch braucht etwas, das ihm Sinn bereitet. So wie ein Abwart, der seinen Beruf mit Herz und Seele ausübt, auch nicht einfach aufhört, nur weil er das Pensionsalter erreicht hat. Just dies fehlt den Menschen heute: Sie führen irgendwelche Jobs aus, statt einen Beruf auszuüben, zu dem sie berufen sind. Schliesslich kommt Beruf von Berufung.
Das Älterwerden wird allerorten kontrovers eingeschätzt. Was bedeutet Ihnen das Älterwerden?
Man wird im Umgang mit dem Tode abgeklärter, weil einem diese Frage bezüglich des Todes automatisch mehr betrifft: Gibt es etwas jenseits der individuellen Unsterblichkeit? Ich möchte bereit sein, dem Tode jederzeit die Türe zu öffnen – wie einem Altbekannten. Ich bin ein grosser Fan von Harald Leschs Kosmos- Sendung: Er bringt den Vorgang des Urknalls, die Frage vom Anfang und vom Ende, wundersam auf den Punkt. Angesichts des Universums kommt unsere Existenz einem Fingerschnippen gleich: Vielleicht sind wir nichts anderes als ein Elementarteilchen – und dieses Elementarteilchen wiederum ein ganzes Universum.
Wie haben Sie den Coronavirus-bedingten Lockdown im Rückblick erlebt?
Als schrecklich. Mir hat diese Zeit sehr auf die Stimmung gedrückt. Mir fehlten die Giele, das Kameradschaftliche. Isolation macht die Menschen krank. Wir sind schliesslich soziale Wesen. Umso mehr bin ich sehr froh, dass wir wieder auftreten können: Heute Freitagabend zum ersten Mal nach langer Pause – am Müli Open Air in Deisswil.
Sie sind von jeher sehr im Rampenlicht gestanden. Hätten Sie sich eine Existenz hinter den Kulissen vorstellen können?
Ich hätte auch Abwart werden können. Es ist reiner Zufall, dass ich schliesslich vor den Kulissen gelandet bin. Ich staune darüber, wenn 14-Jährige heutzutage ein perfekt ausgemaltes Lebensprojekt vorstellen können, was sie mit ihrem Dasein anstellen wollen. Ich habe jedenfalls nie von einem grossen Auto geträumt, das ich dann später einmal fahren wollte. Ich besitze jetzt einen Toyota Starlet, der 23 Jahre auf dem Buckel hat. Ich bin ganz zufrieden und glücklich mit diesem Modell (lacht).
Haben Sie sich mit Ihrer Karriere einen Bubentraum erfüllen können?
Ich habe mir nichts weniger vorstellen können als eine solche Karriere! Vielmehr glaubte ich als Bub, ich könne gar nichts. Ich hatte ganz andere Träume, habe mich in inneren Welten aufgehalten. Ich träumte viel vom Fliegen, bin durch die Luft gesaust.
Wieso haben Sie sich den Künstlernamen Endo Anaconda gegeben?
Den Fantasienamen Endo wählte ich, weil «Ändu», die berndeutsche Abkürzung für Andreas, ausserhalb des Sprachgebiets nicht verstanden wurde. «Anaconda» gefällt mir alleine vom Sprachklang her. Die Schlange häutet sich: Das ist zwar schmerzhaft, aber sinnvoll. Mich fasziniert die indianische Schöpfungsmythologie in Südamerika, in der die Schlange eine wesentliche Rolle spielt. Im Christentum symbolisiert die Schlange wiederum den Teufel. Aber den Teufel gibt es nicht. Weil die Menschen haben Gott erfunden und Gott den Teufel. Ich halte es da ganz mit Peter Bichsel: «Wenn Gott nicht existierte, müsste man ihn erfinden. Ich weiss, dass es keinen Gott gibt – aber ich glaube an ihn.»
Schicksalsschläge sind in Ihrem Leben nicht ausgeblieben. Glauben Sie an die Vorsehung oder vielmehr daran, dass wir selber unser Schicksal beeinflussen können?
Dies unterscheidet uns vom Tier: Dass wir in der Lage sind, über unsere Existenz zu reflektieren. Hätten wir nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen, könnten wir wie die Bonobos hemmungslos unser Leben dem Sex widmen (lacht). Wir sind aber keine Affen, sondern Menschen, welche die Zeit erfunden haben. Weil wir Wesen in der Zeit sind, sind wir auch damit konfrontiert, Sinn in unserem Leben zu suchen. Ob wir in der Lage sind, unser Schicksal zu beeinflussen, sei dahingestellt. Interessanterweise ruft die Schlange dazu auf, vom Baum der Erkenntnis zu essen. In dieser Rolle erscheint mir der Teufel wie Prometheus oder Luzifer, der den Menschen das Licht bringt – in Form des Wissens.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Im philosophischen Sinne nicht. In der Realität bin ich schon des Öftern dem Tod begegnet. Ich bin früh Halbwaise geworden, als ich als Vierjähriger meinen Vater verloren habe. Nach dem Tod meiner Mutter war ich Vollwaise. In jungen Jahren hatte ich eine Nahtoderfahrung, vor etwa zehn Jahren bin ich noch einmal dem Tod von der Schippe gesprungen. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass ich jetzt keine Angst mehr vor dem Tode habe. Sind wir nicht alle Sternenstaub? Ich habe keine konkreten Jenseitsvorstellungen, erkenne aber eine Spiritualität darin, dass wir Menschen sind, welche die Zeit erfunden haben
Das allerletzte Album von Stiller Has heisst «Pfadfinder»: Ist das eine Anspielung auf die Klimajugend, die neue Pfade für unsere Gesellschaft findet?
Es ist doch verrückt, dass wir Menschen drauf und dran sind, diesen Planeten zugrunde zu richten. Wenn es dereinst keine Menschen mehr auf der Erde gibt, verlöscht auch der Geist: Wenn die Menschen sterben, geht mit ihnen das ganze Universum unter. Denn wenn sich keine Menschen den Kosmos vorstellen, existiert auch das Universum nicht mehr. Deswegen finde ich es auch so sinnlos, mit einer Digitalisierung darauf zu reagieren, dass unser Planet immer unbewohnbarer wird. Will man mit einer Digitalisierung Unsterblichkeit und Unendlichkeit erreichen? Statt dass wir auf die Kipppunkte des Erdklimas acht geben und am Boden bleiben, will die Menschheit auf den Mars fliegen. Wie sollen dort 7,2 Milliarden Menschen unterkommen? Damit können wir der Apokalypse, die auch nur eine religiöse Erfindung ist, nicht entfliehen. Wir schaffen es ja kaum bis auf den Mond.
Was kann und will dieses Virus die Menschheit lehren?
Nichts. Es ist ein dummes, primitives Wesen, das nichts anderes als seine eigene Vermehrung im Sinn hat. Tragisch ist nur, welche neoliberalen Verwerfungen dieses Virus mit sich bringt. Jetzt sagt man allen Ernstes den Kindern, dass die nächsten Generationen das alles bezahlen müssen, was die Coronakrise ausgelöst habe. Das dünkt mich alles ziemlich schizophren. Eigentlich wollte ich immer Priester werden und eine Rebellion auslösen gegen den ganzen Unsinn auf dieser Erde. Den Menschen fehlt vollends eine Vision. Wie kann man sich angesichts des Elends der Flüchtlinge auf Lesbos nur schon auf die Idee kommen, dass man sich dereinst gegen die Millionen von Klimaflüchtlingen abschotten will? Sie setzen sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Kann es sein, dass wir just dank Corona diesem einen Schritt näher gekommen sind? Die Digitalisierung wird zu Hunderttausenden Arbeitslosen führen. Allein von daher ist die Einführung eines bedingungslosen Einkommens ein Gebot der Stunde, weil dieses eine Existenz in Würde und ohne Demütigung ermöglichen würde. Idealerweise würde man dieses Grundeinkommen global einführen. Fakt ist, dass heutzutage allzu viele einen totalen Bullshit-Job ausüben und irgendwo im Homeoffice irgendwelche Tabellen ausfüllen.
Wohin bewegt sich die Welt?
Die Welt dreht sich um die eigene Achse und um die Sonne herum. Und die Schweiz ist mittendrin auf dieser Welt. Ich finde, die Regierung der Schweiz hat die ganze Coronakrise durchaus gut gemeistert, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was auf uns zukommen mag mit diesem Virus. Mehr Sorgen macht mir der wieder überhandnehmende Föderalismus in unserem Land, der für Chaos sorgen wird.
Welche Lieder spielen Sie am Konzert in Einsiedeln?
Alle Songs des neuen Albums und sicher zehn Stücke von den früheren Platten. Zum Glück habe ich ein Textheft dabei: Das hilft mir weiter, wenn ich mal nicht mehr weiter weiss im Text. Ein analoges Textheft ist sicher besser als irgendein digitales Ipad, dem der Pfus ausgeht, wenn die Batterie alle ist (lacht).
Autor
Einsiedler Anzeiger
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Kategorie
- Musik
Publiziert am
14.08.2020
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