Musik
Ein dreifaches Meisterwerk
Im Zentrum des Programms stand das Requiem von Gabriel Fauré, umrahmt von zwei weiteren Werken desselben Komponisten. Ausführende waren ein 80-köpfiger Projektchor, zwei Solisten, ein kleines Projektorchester und eine Organistin. Die Leitung lag in den Händen von Stiftskapellmeister Lukas Meister.
Beginnen möchte der Berichterstatter mit dem Projektchor, der eigentlichen Sensation dieses Konzertes. Die Organisatoren rechneten mit etwa zwanzig Sängerinnen und Sängern. Gemeldet haben sich ungefähr achtzig. Zerstört eine solche Masse (sorry!) nicht den kammermusikalischen Charakter dieser zarten Musik? Aber nein und nochmals nein. Noch selten hat man in der Klosterkirche einen so grossen Chor auf weite Strecken fast an der unteren Hörgrenze singen hören. Umso eindrücklicher waren die wenigen Fortissimo – Ausbrüche der Partitur. Die geballte Kraft dieser achtzig Stimmen kam bei diesen vereinzelten Explosionen wunderbar zur Geltung, um dann sofort wieder in ein kammermusikalisches Piano zu versinken.
Eine Bravourleistung höchster Konzentration
Was der Chor aus vielen begeisterten Hobby-Sängerinnen und Sängern geboten hat, war schlicht und einfach eine Bravourleistung in höchster Konzentration. Welch herrlich ausgeglichenen Chorklang haben unser Stiftskapellmeister und seine zwei Helferinnen hergezaubert! Wenn unsere Kirchenchöre landauf landab sich über zu wenige Männerstimmen beklagen, kamen sie hier in Scharen. Den knapp zwanzig Tenören – darunter zwei Frauen – möchte man ein besonderes Kränzlein winden. Ganz grossartig, wie sie gleichsam auf zarten Engelsfüssen im Introitus, im Offertorium und im Agnus ihren ausgesetzten Part meisterten. Nicht mit Pauken und Trompe-ten, sondern ganz aus der Stille begann das Konzert, wobei die beiden Interpreten, der Cellist Filippo Ferrazini und die Organistin Mirjam Wagner-Meister, für das Publikum unsichtbar waren. Sie spielten zur Eröffnung eine Sicilienne für Cello und Orgel von Gabriel Fauré. Es war ein gut gewählter Einstieg, eine passende Einstimmung in ein ungewohntes Requiem. Dann ergriff Lukas Meister das Wort und erklärte mit sympathischen Worten, wie adäquat die verhaltene Musik von Fauré in die Fastenzeit hinein passe.
Wirklich ein ungewohntes Requiem
Der Komponist lässt ganz gezielt in dem von der katholischen Kirche vorgegebenen Text bestimmte Teile aus (vor allem die dramatische Sequenz «Dies irae» bis auf die letzte Strophe «Pie Jesu» und das «Benedictus»). Dafür vertont er den Gesang bei der Bestattung («Libera me») und beschliesst sein Requiem mit dem «In Paradisum», das man nicht anders als himmlisch bezeichnen kann. Himmlisch wie aus dem Mund eines einzigen Engels haben es die etwa zwanzig Sopranistinnen gesungen. Bei solcher Musik wird Sterben zum freudigen Aufstieg in die Ewigkeit. An die Stelle, wo normalerweise das «Benedictus» steht, setzte Fauré das «Pie Jesu» aus der Sequenz. Es ist die einzige Solonummer des ganzen Requiems. Der glasklare Sopran von Stephanie Ritz erklang von der Brüstung bei der Mauritiusorgel herab, während das kleine Orchester unten mit den kurzen Zwischenspielen begleitete. Fast schade, dass der Komponist für die Solosopranistin nur diese einzige Nummer komponiert hat. Man hätte ihr gerne noch länger zugehört. Gerade hier beim «Pie Jesu» bewährte sich die neue Übertragungsanlage in der Klosterkirche, die bei diesem Konzert zum allerersten Mal zum Einsatz kam. Toll, was die Technik möglich macht! Der zweite Solist, der Bariton Léon Emanuel Moser, sang seine beiden Einsätze beim Introitus und beim «Libera me» unten vor dem Orchester. Der Solist hat seinen Part eindrücklich gestaltet. Seine warme Stimme hatte nichts Bedrohliches und hätte bestimmt auch dem Komponisten entsprochen.
Bleibt das auffallend mit tiefen Streichern, einer Harfe und zwei Hörnern besetzte Orchester, welches das ideale Parkett bildete, worauf die Gesangstimmen sich in schönster Weise entfalten konnten. Beim ebenso eindrücklichen wie ungewohnten «Sanctus» kommt eine in höchsten Lagen notierte Solovioline dazu (von Konrad Viehbahn beglückend gespielt). Im vorletzten Teil, im «Agnus Dei», einer Art Reprise zum Introitus, waren das Orchester mit längerem Vor- und Nachspiel sowie der Chor mit einstimmigen (Tenöre!) und vollstimmigen Partien noch einmal ganz gefordert, bis dann im letzten Satz die Musik inklusive exponierter Orgel (Bravo!) himmelwärts entschwebte. Weil das Requiem mit 35 Minuten auffällig kurz ist, ist es Brauch, es bei einer Aufführung mit einem anderen Werk zu verbinden. So auch bei der Einsiedler Aufführung, wo abschliessend Faurés «Cantique de Jean Racine» erklang, ein in Stimmung und Gehalt auffällig verwandtes Werk, obwohl es der Komponist ungefähr 20 Jahre vor dem Requiem geschrieben hat. Was da am letzten Sonntagnachmittag in der Einsiedler Klosterkirche erklang, war im wörtlichen und im übertragenen Sinn ein Meisterwerk, wörtlich deshalb, weil hinter diesem phantastischen Projekt die Familie Meister stand. Lukas Meister, unser Stiftskapellmeister, hatte die Gesamtleitung, seine Frau Mirjam Wagner- Meister, die Organistin, half zusammen mit ihrer Mutter, der Stimmbildnerin Michaela Hauke, bei der Choreinstudierung mit. Da Mirjam Wagner- Meister in der reformierten Kirche Wädenswil als Organistin tätig ist und ihr Mann im katholischen Kloster Einsiedeln das Sagen hat und beide aus ihrem Umfeld Sängerinnen und Sänger mitbrachten, erhielt das Projekt auch ein eindrückliches ökumenisches Gewand. Oekumene an der Basis funktioniert besser als in oberen Stockwerken. Der lange Applaus war verdient. Chapeau, Familie Meister! Bei solchen Bedingungen darf man sich auf weitere Projekte dieser Art freuen!
Einsiedler Anzeiger / Pater Lukas Helg
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SchwyzKulturPlus
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