Musik
«Diese Unterscheidung ist ein ‹Chabis›»
Anregende Diskussion über «Alte Musik und Neue Töne» im Museum Fram Warum hören wir alte Musik lieber als neue Töne? Zu dieser spannenden Frage gab es im Museum Fram am letzten Donnerstag ein nicht weniger spannendes Gespräch.
«Wenn Beethoven für die vertraute Heimat steht, die hinter mir liegt, dann Schostakowitsch für die Suche nach der unbekannten Heimat, die vor mir liegt.» Um fassbare Bilder nicht verlegen war Pater Theo Flury am letzten Donnerstag, 22. August, als er der Einladung des Museums Fram folgte, sich doch zum Thema «Alte Musik und Neue Töne» zu äussern. «Ansonsten», schob der Einsiedler Stiftsorganist zur Freude der rund 50 Anwesenden launig nach, finde er die Unterscheidung in alte und neue Musik «en Chabis»: «Da jede Musik hier und jetzt gespielt wird», so Pater Theo grundsätzlich, «ist jede Musik demzufolge auch zeitgenössisch.» Noten sind für ihn lediglich «Gedächtnisstützen für die Interpreten».
Beethoven – Schostakowitsch
Es waren zwei gegensätzliche Musikbeispiele von Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827) und Dmitri Schostakowitsch (1906 bis 1975), welche der umsichtige Moderator Walter Kälin auswählte, um über die Hörgewohnheiten des Publikums zu diskutieren. Dabei erinnerte der zweite geladene Gast, der Musikwissenschaftler und Barock- Geiger Christoph Riedo, dass die eingespielte Beethoven-Sinfonie für Violine und Orchester bei der Uraufführung 1806 kaum erfolgreich war, gar in Vergessenheit geriet, erst 1840 wiederentdeckt und so im Laufe der Jahre zum heute bekannten Klassiker geworden ist. Hörgewohnheiten können sich also durchaus ändern; aber nicht dermassen stark, wie Arnold Schoenberg weissagte: «In 50 Jahren wird man die Werke der Zwölftontechnik auf den Strassen pfeifen. » Das liegt jetzt doch schon 100 Jahre zurück. Und die Zwölftonmusik ist mitnichten zur Hörgewohnheit eines breiten Publikums geworden – ganz im Gegenteil: Moderne Musik gilt gemeinhin als «noch immer schwere Kost», wie Kälin fragend in die Runde warf.
Dissonanzen statt Harmonien
Flury, selbst Komponist mit langjähriger Erfahrung, lieferte eine plausible Erklärung: «Menschen wollen mit gewohnten Harmonien ihre Empfindungen bestätigt haben. So fühlt man sich automatisch mit der Tradition verbunden.» Da verwundert es kaum, dass Pater Theo beim heutigen Opern- oder Tonhallenpublikum eine «pseudoreligiöse Atmosphäre» wahrnimmt. Komme jedoch ein Komponist wie Schostakowitsch, «der die musikalischen Bausteine neu zusammensetzt, Dissonanzen statt Harmonien verwendet, dann fühlen sich die Zuhörer entwurzelt, kriegen Angst und weichen zurück.»
«Nicht mehr vom Gleichen»
Pater Theo muss es wissen: Seine Werke werden meistens nur uraufgeführt und danach kaum mehr gespielt und gesungen. Einerseits fehlen sicher häufig die künstlerischen und finanziellen Voraussetzungen für eine Wiederaufführung, andererseits ist er sich bewusst, dass sich das Publikum schwertut mit zeitgenössischer Musik. Und drittens, so Flury, hätte er in den letzten 30 Jahren immer Auftragskompositionen geschrieben. Warum er denn nicht wie Johann Christian Bach komponiere, von dem Kälin eben ein gefälliges Musikbeispiel einspielte, wollte Riedo von Flury wissen? Der Komponist konterte, dass das «lediglich mehr vom Gleichen und – für mich persönlich – zu klar, zu absehbar ist».
Offen bleiben
Eine letzte Brücke zur «sperrigen, modernen Musik» schlug Walter Kälin mit seinem persönlichen Schlusswort. Während er zu Hause bei seinen Klassik-Favoriten regelmässig einschlafe, sei dies bei der Sinfonie von Schostakowitsch nicht passiert: «Da habe ich 60 Minuten lang intensiv zugehört. Warum?» «Bei neuer, unbekannter Musik muss man offen bleiben, sich keinen Zwang antun, da die Musik nicht absehbar ist», gab Pater Theo einen Tipp. «Sie gaben sich offen, das Neue aufzunehmen.»
Einsiedler Anzeiger / Vi
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