Bühne

«Was Einsiedeln fehlt, sind Visionen»

Hanspeter James Kälin tritt nach 43 Jahren im Vorstand und einem Jahrzehnt Präsidium in der Welttheatergesellschaft Einsiedeln zurück: Kälin übergibt das Zepter an Lukas Lang.

Magnus Leibundgut: Wie fällt Ihre Bilanz zum Welttheater 2024 aus?

Hanspeter James Kälin: Insgesamt würde ich von einer hervorragenden Bilanz sprechen: Finanziell betrachtet war die Spielsaison 2024 die erfolgreichste, die jemals über die Bühne gegangen ist – auch mit einer Auslastung von achtzig Prozent steht sie an der Spitze. Im Fokus der letztjährigen Saison steht das Gemeinsame der Aufführung: Das Stück ist miteinander entwickelt worden und kommt daher wie ein Guss. Es hat einfach alles gestimmt: Das Konzept, der Text, die Regie, die Musik, Kostüme, Dramaturgie und Choreografie waren einzigartig. Das Engagement aller Beteiligten, des Vorstands, der künstlerischen Leitung und – das Wichtigste – des Spielvolks, war überragend und hat die 60’000 Zuschauerinnen und Zuschauer begeistert. Wir hatten das Glück, ein allseits verständliches Theaterspiel zeigen zu können, das auf positive Kritiken gestossen ist. 

 

Was hat Sie am meisten überrascht in der Saison 2024?

Das Wetter (lacht)! Es war bei den Proben sehr mies, das Spielvolk wurde des Öftern pitschnass. Bei der Premiere des Welttheaters war es bitterkalt. Aber dann folgte ein Megasommer: 38 Aufführungen ohne eine einzige Absage, ohne einen einzigen Unterbruch! Das gab es noch nie beim Einsiedler Welttheater, dass das Wetter dermassen mitgespielt hat. Naturgemäss haben wir sehr von den beiden überdachten Tribünen profitiert, die zum ersten Mal zum Einsatz gekommen sind: Das Dach hat sich sehr bewährt: Es ist weit besser und günstiger als jede Schlechtwetter-Versicherung.

 

Welche Herausforderung hat sich als besonders schwierige Aufgabe erwiesen?

Während der Corona-Pandemie war die Unsicherheit gross, in welche Richtung sich das Welttheater in Einsiedeln entwickeln würde: Verändert sich das Verhalten der Leute wegen des Virus? Haben sie eher Lust fernzusehen als sich für das Welttheater zu verpflichten? Wie kann man die Menschen motivieren und abholen, beim Theater mitzumachen? Es galt zu zeigen, dass etwas läuft und die jungen Leute für das Spiel zu begeistern. Für das Schulpädagogische Projekt haben sich rund 1800 Schülerinnen und Schüler angemeldet, und im Mai 2024 hat ein Grossteil dieser Jugendlichen eine einmalige Show geliefert – ein einmaliges Erlebnis. Eine Herausforderung bestand auch darin, dass die Ansprüche gestiegen sind – auch was die Sicherheitsbedürfnisse und organisatorische Fragen anbetrifft.

 

Gab es Momente, in denen Sie im Rückblick daran gedacht haben, dass das Welttheater Schiffbruch erleiden könnte?

Im Sommer 2020 hatte ich schlaflose Nächte: Wir hatten wegen der Corona-Pandemie eine Million Franken in den Sand gesetzt und mussten uns entscheiden, ob wir im Jahr 2021 spielen sollen oder nicht. Bei einem weiteren Abbruch war nicht davon auszugehen, dass der Bund uns wieder unterstützen würde. Gleichzeitig sind wir vor dem Problem gestanden, dass ja die Möglichkeit bestand, dass die Pandemie im Sommer 2021 beendet gewesen wäre: Hätte man in diesem Fall spielen können, wären wir vor einem moralischen Problem gestanden. Es war denn eine Zeit grosser Unsicherheiten und ausufernder Kontroversen.

 

Während der Corona-Pandemie hat das Welttheater an ein Himmelsfahrtkommando erinnert. Wie haben Sie es geschafft, den Kahn auf unruhiger See in ruhigere Gewässer zu manövrieren?

Wir mussten eine Entscheidung treffen – und wir haben zum Glück die richtige getroffen: Wir haben uns entschieden, das Theater auf das Jahr 2024 zu verschieben, um dann in diesem Jahr gleich das 100-Jahr-Jubiläum des Welttheaters Einsiedeln feiern zu können. Das gab uns Planungssicherheit und die Zeit, alles rechtzeitig aufzugleisen. Gleichzeitig schafften wir damit auch die Herausforderung, die Finanzen der Welttheatergesellschaft ins Lot zu bringen.

 

Nun gibt es einen Wechsel in der Kapitänskajüte. Wer folgt Ihnen nach?

Nach 43 Jahren im Vorstand der Welttheatergesellschaft und einem Jahrzehnt Präsidium ist es höchste Zeit, den Hut zu nehmen: Am 9. April trete ich zurück. An diesem Tag kandidiert Lukas Lang für das Präsidium: Er ist mit seiner ganzen Familie dem Welttheater sehr verbunden: Rita Lang, seine Frau, ist Mitorganisatorin des tanz- und theaterpädagogischen Projekts. Sein Sohn hat im letzten Jahr die Rolle des Pablo gespielt. Lukas Lang ist eine gute Wahl: Er hat die HSG absolviert und kommt aus der Consulting-Branche, versteht also etwas von Finanzen und Organisation. Er hat mich im Vorstand bereits tatkräftig in vielen Belangen unterstützt. Es gibt einen weiteren Wechsel im Vorstand: Für Peter Lüthi als Klostervertreter rückt sein Sohn Matthias Lüthi nach, der an der Stiftsschule in Einsiedeln unterrichtet.

 

Bleibt Lukas Bärfuss dem Welttheater Einsiedeln als Autor erhalten?

Das ist eine offene Frage. Selbstverständlich wird Lukas Bärfuss wie auch das ganze Team eingeladen, sich für eine weitere Spielperiode mit einem Konzept zu bewerben, was uns sehr freuen würde. Faktum ist: Es wird frisch evaluiert. Wir laden Teams ein, ein Konzept für das kommende Welttheater vorzustellen – das überzeugendste Konzept obsiegt. Man sagt ja: Never change a winning team. Aber wir wollen offen an die Auswahl herangehen. Auch nach dem Jahr 2000 haben wir eine Evaluation durchgeführt, und das Team Hürlimann/ Hesse hat das beste Konzept präsentiert und im Jahr 2007 noch einmal inszeniert. Es wird also definitiv ein neues Konzept geben. Bereits am Ende dieses Jahres werden Teams eingeladen, sich für die kommende Aufführung des Welttheaters zu bewerben.

 

Wann geht die nächste Spielsaison über die Bühne?

Das ist derzeit noch offen. Ideal wäre aus meiner Sicht eine Aufführung des Welttheaters im Jahr 2030. In früheren Zeiten wurde das Welttheater in Einsiedeln alle fünf Jahre aufgeführt. Eine Kadenz von fünf bis sieben Jahren wäre wohl anzustreben. Ein Unterbruch von elf Jahren (wie zwischen 2013 und 2024) liegt nicht drin: Bei einer solch langen spielfreien Zwischenzeit ist die Gefahr zu gross, dass wir eine Generation von spielfreudigen Kindern und Jugendlichen verlieren, weil sie das Welttheater gewissermassen verpassen.

 

Welche Rolle ist Ihre Rolle?

Im Jahr 1992 war die Zeit reif für eine Neuorientierung: Als Vizepräsident der Welttheatergesellschaft Einsiedeln war ich für das neue Ressort Konzeption zuständig. Ich hatte freie Hand in der Erarbeitung eines neuen Konzepts für das Welttheater und war fortan der Baumeister einer neuen Ära. Die Rolle des Präsidenten hatte ich von 2015 bis 2025 inne. Meine zukünftige Rolle spiele ich ausserhalb des Vorstands der Welttheatergesellschaft: Ich werde Lukas Lang und dem Vorstand jederzeit beratend zur Seite stehen und in der Evaluation einer künftigen künstlerischen Leitung sowie im Fundraising weiterhin mitwirken. Ich werde dem Welttheater immer mit Herz und Seele verbunden bleiben.

 

Wie wollen Sie leben, wie sterben?

Ich möchte weiterhin ein sehr intensives Leben in Angriff nehmen, bin neugierig und gehe mit offenen Augen durch das Dasein: Was kann ich machen? Wo will ich mich engagieren? Welche Projekte stehen an? Weiterhin werde ich beruflich aktiv bleiben. Und gerne Visionen umsetzen! Was Einsiedeln fehlt, sind Visionen, die das Gemeinschaftliche stärken, in denen alle an einem Strick ziehen. Das Klosterdorf braucht einen Masterplan, ein Hotel, ein Restaurant in der Badi Roblosen, ein beidseitiges Trottoir auf dem Jakobsweg bei der Gangulfkapelle – und einen lebendigen Bahnhofplatz und und und …

 

Einsiedler Anzeiger / Magnus Leibundgut

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Publiziert am

28.03.2025

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