Annette Windlin gestaltet das Theaterleben im und um den Kanton Schwyz seit bald 40 Jahren aktiv mit, sei es als Schauspielerin, Regisseurin, Autorin oder Theaterpädagogin. Die Schultheatertage hat sie als Dozentin der Pädagogischen Hochschule Schwyz mitinitiiert. Bild zvg
Annette Windlin gestaltet das Theaterleben im und um den Kanton Schwyz seit bald 40 Jahren aktiv mit, sei es als Schauspielerin, Regisseurin, Autorin oder Theaterpädagogin. Die Schultheatertage hat sie als Dozentin der Pädagogischen Hochschule Schwyz mitinitiiert. Bild zvg

Bühne

Theater macht Schule

Mit Unterstützung der Kulturkommission des Kantons Schwyz und begleitet von Profis, entwickelten Kindergarten bis Oberstufenklassen Theaterstücke. Annette Windlin weiss, was Mitwirkende dadurch lernen – aus eigener Erfahrung.

szene: Was war die grösste Mutprobe, der Sie sich als Theaterschaffende gestellt haben?

Annette Windlin: (überlegt) «Big Bang» – um nur eine zu nennen. Das war meine erste grosse Theaterproduktion, 2013 in Brunnen, mit einem 40- köpfigen Ensemble und einem riesigen Team. Da hatte ich, nach vielen kleinen Projekten, plötzlich ein Budget von 750 000 Franken zu verantworten.


Anfang der 80er-Jahre, nach dem Lehrersemi in Rickenbach, meldeten Sie sich für die Scuola Teatro Dimitri an. Fanden Sie sich da mutig?

Nein, im Gegenteil. Wäre ich mutig gewesen, hätte ich mich für die Aufnahmeprüfung an einer klassischen Schauspielschule angemeldet. Damals, Anfang 20, fand ich mich sprachlich nicht so stark, dafür war ich sportlich. Da schien mir die Dimitrischule passender.


Mut steht im Zentrum der zweiten Schultheatertage Schwyz Uri Glarus, die auf ihre Initiative hin entstanden sind. 16 Schulklassen aus den drei Kantonen haben 20- bis 30-minütige Theaterstücke entwickelt, rund um den Begri «Zumutung». Weshalb fiel Ihre Wahl auf dieses Thema?

Weil es breit gefächert ist. Wir, das Team der Fachstelle Theaterpädagogik der Pädagogischen Hochschule Schwyz, wählen immer einen mehrdeutigen Oberbegriff. «Zumutung» an sich ist eher negativ besetzt – die Ordnung im Zimmer kann eine sein oder Mikroplastik in den Weltmeeren. Positiv ist der Begriff in Kombination mit Mut, den es braucht, um sich und anderen etwas zuzumuten. Der Begriff hat eine grosse Bandbreite und bietet den Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern verschiedene Zugänge.


In diesen Tagen präsentieren die Schwyzer Schulklassen ihre Werke an der PH in Goldau. Während eine spielt, schauen drei andere Klassen zu und geben Rückmeldung, zusammen mit Fachpersonen. Was beabsichtigen Sie damit?

Wertschätzung. Im Mittelpunkt der Schultheatertage steht, dass die Kinder ein gutes Erlebnis haben. Sie sind kein Wettbewerb, bei dem am Schluss eine Gruppe als «Beste» bezeichnet wird. Weil alle Kinder selber auch auf der Bühne stehen, sind die Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler sehr achtsam. Das schafft eine positive Atmosphäre, in denen die Spielenden Komplimente abholen können.


Auftrittskompetenz oder Teamfähigkeit erklären sich fast von selbst. Inwiefern fördert Theaterspielen auch Kompetenzen wie Fantasie, Dialogfähigkeit oder Selbsteinschätzung?

Die Kinder und Jugendlichen zeigen kein fertiges Stück, das sie auswendig lernen und so präsentieren müssen, wie es die Lehrperson will. Sie beginnen mit Improvisationen und Spielen, bilden ein Team und entwickeln Ideen. Danach müssen sie Kritik annehmen und geben, um sich darauf zu einigen, was sie wie zeigen wollen. So gibt es im Laufe des Prozesses verschiedenste Ebenen, auf denen sie sich einbringen müssen und weiterentwickeln können.


Für Lehrpersonen seien solche theaterpädagogischen Projektarbeiten zwar lust-, aber auch höchst anspruchsvoll. Inwiefern?

Viele Lehrpersonen haben auf diesem Gebiet keine Ausbildung und wissen nicht, wie sie solche Projekte angehen sollen. Das macht Angst – vor allem bei unserem partizipativen Ansatz, in dem die Kinder gemeinsam mit den Lehrpersonen ihr Stück selber entwickeln. Hier bieten wir Hand. Nebst einer Weiterbildung in Theaterpädagogik und einem umfangreichen Dossier erhalten die Angemeldeten punktuelles Coaching, wann immer sie welches brauchen. Auch für erfahrene Lehrpersonen sind die Schultheatertage eine nachhaltige Weiterbildung.


Nebst ihrer umfangreichen Arbeit als Dozentin, Regisseurin und Autorin stehen Sie aktuell selber auf der Bühne, mit «Der Besuch der alten Dame». Was lockte Sie, nach elfjähriger Pause?

Das Spielen, das ich sehr vermisst habe. Seit «Big Bang» wurden meine künstlerischen Projekte immer grösser, deshalb fehlte mir schlicht die Zeit dafür. Aufgrund der Pandemie verschoben sich geplante Projekte, unter anderem die Tellspiele in Altdorf, die ich 2024 inszenieren werde. Also entschied ich, endlich mein nächstes Solostück in Angriff zu nehmen.


Sie machten das Beste aus der Corona-Situation?

Sozusagen. Während der Theaterbetrieb stark eingeschränkt war, konnte ich, im stillen Kämmerlein, viel recherchieren und das Stück in einem überschaubaren Team erarbeiten.


Ihr Text, ein 100-minütiger Monolog, umfasst 65 Seiten. Gelernt haben Sie ihn in London?

Im Rahmen meines Stipendiums der Landis & Gyr Stiftung, ja. Stundenlang streifte ich durch sämtliche Parks und war überaus froh, soviel Raum dafür zu haben. Mein Hirn ist 63 Jahre alt. Das Auswendiglernen dauert heute länger als vor 20 Jahren.


Musikalisch und textlich begleitet von Christian Wallner, verkörpern Sie in Friedrich Dürrenmatts Bühnenklassiker 14 Figuren und schlüpfen, scheinbar mühelos, von einer Rolle in die nächste. Dahinter steckt vermutlich harte Arbeit?

Schwerstarbeit! Als ich den Text einigermassen beisammen hatte, begannen die Proben. Er entfiel mir regelmässig, weil ich nun auf Körper und Stimme, Sprache und Duktus zu achten hatte. Ich war – und blieb ewig lange – komplett überfordert. Zum Glück hat mich meine Crew immer wieder ermutigt, wenn ich glaubte: «Das kriege ich nie auf die Reihe!» Dass das Stück nun grossen Anklang findet, geniesse ich sehr. Ebenso schön ist es, wieder mit Christian, meinem Musiker und Partner und unserem langjährigen Techniker Beat Auer auf Tournee zu sein.


Verlangt es Ihnen immer noch Mut ab, vors Publikum zu treten? Lampenfieber werden Sie, nach fast 40 Jahren, kaum mehr kennen.

Doch, egal in welcher Rolle: Vor jeder Premiere steigt mein Adrenalinspiegel. Man weiss schliesslich nie, wie das Stück ankommt und ob es so verstanden wird, wie ich es mir gedacht hatte. Gerade, wenn ich selber spiele, zittere ich in den ersten 10 Minuten wie verrückt und glaube, ich müsse sterben. Kürzlich lernte ich von meiner Regieassistentin fünf Übungen, die beide Hirnhälften verbinden. Sie wirken Wunder – und ich habe endlich ein Ritual, das tatsächlich hilft.


Bleibt nur die Frage: Warum tun Sie sich das an? Was gibt Ihnen die Bühne, was Sie sonst nirgends finden?

Glücksgefühle. Spielen – und auch das Inszenieren – sind meine grosse Leidenschaft. Ich sehe es als Privileg, dass ich beides als Beruf ausleben darf.

szene / Simone Ulrich

Autor

SchwyzKulturPlus

Kontakt

Kategorie

  • Bühne

Publiziert am

20.06.2023

Webcode

www.schwyzkultur.ch/HaCx4N