Dies & Das
Was sind Sie so für ein Langeweile-Typ?
Manche halten sie nicht eine Sekunde lang aus. Für andere ist sie ein meditativer Zustand. Die Langeweile ist erstaunlich vielfältig und hat dennoch einen schlechten Ruf. In der neuen Ausstellung im Vögele Kultur Zentrum dreht sich alles um ein unterschätztes Gefühl.
Die Langeweile hat eine Funktion. Richtig gelesen. Oder gehören Sie etwa zu den Menschen, die sich sofort auf die nächste Ablenkung stürzen, wenn es langweilig wird? Die gar ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie nicht produktiv sind? Sie sind nicht allein. Langeweile ist nicht gerade angesagt in unserer Leistungsgesellschaft, in der an jeder Ecke und in jedem Hosensack eine Ablenkung in Reichweite ist.Höchste Zeit, diesem unterschätzten Gefühl eine nähere Betrachtung zu widmen.
Den Erzählungen von Langeweile auf den Grund gehen
«Die Langeweile ist ein universelles Gefühl», sagt Monica Vögele, Präsidentin der Charles und Agnes Vögele Stiftung, bei der Präsentation der neuen Ausstellung. «Und dennoch ist sie für jeden Menschen etwas anderes.» In unserer Gesellschaft hat sie einen schweren Stand. «Die Langeweile hat einen schlechten Ruf»,fasst es Karolina Widla zusammen, die gemeinsam mit Anouk Estermann das Kuratorium der Ausstellung innehat. Niemand wird gern als faul abgestempelt. Erst recht will niemand als langweilig gelten. In unserem auf Effizienz getrimmten Alltag möchten die Menschen ihre Zeit sinnvoll nutzen, was auch immer das bedeuten mag.Es wird gar als erstrebenswert angesehen, in einen «Flow» zu geraten. So sehr in einer Aktivität aufzugehen, dass man nicht merkt, wie die Zeit vergeht. «Es passt zu unserem Narrativ, dass alles schneller und besser werden muss.Wir fanden es spannend, diese Erzählungen zu hinterfragen», sagt Estermann. Hinterfragen können sich auch die Besuchenden der Ausstellung.Am Eingang wird ihnen ein Eile-mit-Langeweile- Test überreicht. In der Ausstellung sind verschiedene Aussagen zur Langeweile in unserem Leben zu fin-den. Mittels Stempelkarte lässt sich erfassen, wie sehr diese Aussagen auf einen selbst zutreffen. Ohnehin ist es ein Merkmal der Ausstellungen im Vögele Kultur Zentrum, dass einem sicher nicht langweilig wird. Und falls doch, ist das gewollt. In den Video- und Fotoporträts der britischen Künstlerin Dawn Parsonage langweilen sich Menschen stundenlang. Die Schweizer Videokünstlerin Myrien Barth versucht in einer Videoarbeit, den «Geschmack von Zeit» einzufangen.
Ein Rundgang führt durch die Langeweile
Die Ausstellungsbesucher werden von der Langeweile persönlich begrüsst und bewegen sich wie eine Spielfigur durch eine Landschaft aus übergrossen Spielkarten und bunten Gebäuden. «Wir wollten ein Gesamterlebnis», sagt Monica Vögele. Entsprechend ist von interaktiven Stationen bis zu stetig anwachsenden Kunstinstallationen viel geboten. Die multimediale Ausstellung ermöglicht eine neue Sicht auf die Langeweile. Sie stellt die Frage, warum es uns so schwer fällt, die Leere in uns auszuhalten, will herausfinden, ob sie eine stille Gefahr oder eine unterschätzte Supermacht ist. Und wie sie von einem Luxusgut in der Renaissance zur «schwersten aller Sünden» (Max Weber) in unserer kapitalistischen Welt wurde.
Zum Abschluss der Ausstellung winkt die Auflösung des Eile-mit-Langeweile- Tests. Im Zielbereich erfahren die Besuchenden augenzwinkernd, welcher Langeweile-Typ sie sind, und werden anschliessend der angezeigten Therapie zugeführt. Wie diese aussieht, sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: Sie werden sich garantiert langweilen. Richtig so. Denn Langeweile hat eine Funktion.
Höfner Volksblatt und March-Anzeiger / Rafael Muñoz
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