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«Der Riss hat für mich die Symbolik des Verwerfens und des Aufbrechens
Maya Lalive hat in Wirtschaft, Militär und Politik Karriere gemacht. Seit gut zehn Jahren arbeitet sie als freie Künstlerin. Sie lässt sich beim Klettern von der Natur inspirieren.
mit Maya Lalive sprach Urs Attinger
Urs Attinger: Maya Lalive, 2018 war ein Jahr mit vielen Projekten für Sie. Was haben Sie erreicht?
Maya Lalive: Zwei Bücher sind herausgekommen. Zum einen das Kunstbuch «Soulscapes and Landmarks», das die Kunstintervention «Der Riss – La Fessura» im Bergell, ausgewählte Kunstwerke der letzten zehn Jahre sowie Kletter- und Bergfotos von mir zeigt. Zum anderen der Ratgeber «Mental stark am Berg», der ein Leitfaden für eine starke Psyche ist. Meinen Film «Nah am Riss» habe ich bereits an Vorpremieren in Einsiedeln und Pfäffikon gezeigt: Es ist eine filmische Betrachtung zum Lebensthema Veränderung.
Bitte erzählen Sie uns etwas über den Film.
Es geht um das Thema Risse. Für mich ist der Riss sowohl eine klettertechnische Herausforderung als auch eine Auseinandersetzung mit mir selbst; der Riss als 10 mal 140 Meter grosses Bild an der Staumauer, den ich 2016 mit Hilfe vieler Leute und eines Helikopters installiert habe, war ein visualisierter Gedankenanstoss zum eigenen Ich, zur Lebenssituation, zu gemeinsamen Lebensräumen, zu Veränderung und Vergänglichkeit. Dies wird im Film anhand von Berg- und Kletterszenen praktisch ohne Worte «erzählt». Man sieht mich einen steilen Handriss im Granit hinauf klettern. Die Strapaze des Aufstiegs ist ebenso erkennbar wie die Freude danach. Auch der Naturräume ich Platz ein, denn sie ist die grösste Künstlerin.
Wie gefällt der Film?
Der Film kommt beim Publikum sehr gut an und berührt die Menschen, wie die vielen Reaktionen zeigen. Ihnen haben es scheinbar die Risse angetan.
Wieso das?
Klettertechnisch war es lange nicht unbedingt meine Lieblingsart, höher zu kommen, ich bevorzuge eher die Platten- und Leistenkletterei. Aber der Riss hat für mich die Symbolik des Verwerfens, aber auch des Aufbrechens. So steht der Riss auch für mein eigenes Leben, indem ich Brüche erlebte, Neuanfänge bewältigte. Ich war immer in Vorwärtsbewegung.
In diesem Vorwärtsdrang haben Sie sich der Kunst zugewandt?
Ich habe als junge Frau schon gut Klavier gespielt, war als Klavierlehrerin tätig, hatte Talent im Zeichnen und habe mich für die Schauspielerei interessiert. Keines von all dem konnte ich studieren, weil ich von den Eltern nur ein «anständiges» Studium finanziert bekam. So studierte ich Germanistik, Kunstgeschichte und englische Literatur. Danach war ich als Medienschaffende sowie in Führungspositionen in der Wirtschaft, dem Militär und in der Politik tätig.
Und seit Sie 50 sind, kommen Sie Ihren ursprünglichen Leidenschaften wieder näher?
Ja, ich habe mich schon immer mit Kunst befasst und habe das Glück, mich jetzt intensiv mit ihr auseinandersetzen zu können.
Sie wohnen in Bäch und haben ein Atelier in Linthal. Das ist nicht gerade am Weg.
Anstelle des Ateliers, das ich in der Nähe hatte, wurden Loft-Wohnungen gebaut, da musste ich auf die Suche. Leider wurde ich im Umkreis nicht fündig. Über einen Bekannten habe ich dann das Atelier in Linthal, das auch als Ausstellungsraum dient, gefunden.
Arbeiten Sie also sowohl indoor als auch outdoor?
Die Motivfindung passiert draussen in der Natur. Die Verarbeitung des Rohmaterials, also die Konzepte, die Bildauswahl und die -ausschnitte, mache ich drinnen. Auch die Büro- und die Kommunikationsarbeit wie die Homepage gibt es immer wieder zu pflegen.
Das hintere Glarnerland und das Bergell sind zwei urwüchsige Landschaften. Besonders das Bergell ist ziemlich weit von jeder grossen Stadt entfernt. Wie kommen Sie in diese einsamen Gegenden?
Schon als kleines Kind wanderte ich im Bergell auf der Panoramica nach Soglio oder über den Septimerpass. Die richtige Liebe zu diesem Bündner Bergtal entwickelte sich allerdings erst, als ich durch meinen Mann Jahrzehnte später wieder ins Bergell kam. Seine Vorfahren mütterlicherseits stammen aus dem Bergell, und wir besitzen heute zusammen mit einem Bruder meines Mannes einen Hausteil in Casaccia. Dort verbringen wir in den Sommermonaten viel Zeit. Die Grossstadt vermisse ich nicht, im Gegenteil.
Wie lernten Sie das Klettern?
Ein Bergeller Bergführer nahm mich mit ins Albignagebiet,wo sich die Staumauer befindet, und packte, oben angekommen, ganz unverhofft Klettermaterial aus. Die folgenden drei Seillängen im rauen Granit, die ich nachsteigen «musste», haben mich total überwältigt. Ich habe danach so gestrahlt wie noch nie.
Das Klettern ist auf verschiedene Arten auch Thema von beiden Büchern, die 2018 von Ihnen erschienen sind.
In «Soulscapes and Landmarks» illustriert es den Ursprung meiner Kunst. Ich fotografiere viel auf Klettereien – Gesteine, Flechten, Berge – und verwende dann die Bilder als Grundlage meiner Kunstwerke. Die Fotografien sollen den archaischen Raum der Berge und mein Sein darin abbilden. Im zweiten Buch «Mental stark am Berg» geht es um die Vorbereitungen im Bereich der Psyche im Hinblick auf herausfordernde Situationen am Berg.
Können Sie das näher erklären?
Kletterer verbringen meist viel Zeit beim Kraft- oder Beweglichkeitstraining, der mentale Bereich hingegen wird viel weniger geschult. Weil Bergsteiger aber auch der Härte der Natur ausgesetzt sein können, sollte man dem Training der Psyche mehr Beachtung schenken. Wetterumschwung, Absturzgefahr, Unfall und Verletzung sind nur einige Bereiche, in denen das Repertoire des Ratgebers eingesetzt werden kann. Es geht in erster Linie darum, dank mentaler Kraft sicherer und mit mehr Genuss unterwegs zu sein, und bei Bedarf natürlich auch die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern.
Das Buch «Mental stark am Berg», das der SAC herausgegeben hat, wird auch als alltagstauglich beschrieben.
Ich denke, auch Chefs, die vor schwierigen Entscheidungen stehen, Mütter mit quengelnden Kindern oder Mitarbeiter mit fordernden Chefs können aus dem Buch etwas mitnehmen. Man kann sich Werkzeuge aneignen, die einem in einer aussergewöhnlichen oder einfach herausfordernden Situation helfen.
In «Soulscapes» scheint jedoch eindeutig mehr Maya Lalive drin zu sein.
Ja, dies ist ein sehr persönliches Buch. Es zeigt zehn Jahre meines Schaffens inklusive den Riss. Das Mentalbuch ist allgemeiner gehalten, dafür mit vielen praktischen Tipps aus meinem Leben gewürzt.
Ist die Kunst also Ihre Herzensangelegenheit?
Absolut. Das kommt von früher her aus meiner Kindheit, als ich Künstlerin werden wollte. Jetzt kann ich es tun. Auch das Schreiben gehört ja dazu. Im Studium hatten wir auch eine journalistische Ausbildung. Inneres auszudrücken bedeutet, einen Wert zu schaffen, es ist eine künstlerische Ausdrucksform.
Sie geben an, neben Künstlerin und Autorin auch Coach zu sein. Wie darf man sich das vorstellen?
Ich habe verschiedene Angebote, mit denen ich Menschen individuell begleiten kann. Auf eine Sportart bezogen bringe ich die Werkzeuge ein und unterstütze die Person beim Versuch, diese zu lernen und anzuwenden. Selbstverständlich teile ich mein Wissen und meine Erfahrungen mit Klienten. Dies geht oft über den mentalen Bereich hinaus und betrifft die Führung, Lebensgestaltung oder Unternehmenskultur.
Würden Sie wieder diesen Weg einschlagen, wenn das Rad der Zeit zurückgedreht werden könnte?
Das Rad der Zeit kann nicht zurückgedreht werden, und es ist müssig zu sagen: «Was wäre gewesen, wenn…» Ich denke, alles hat seine Richtigkeit im Leben. Es gibt sowohl Risiken als auch Chancen, und es ist eine Gnade, zu nehmen, was ist und was kommt. Um etwas zu erreichen, muss man auch etwas wagen. Wer mental stark ist, kann auch mal ruhen. Schliesslich soll jeder nach seiner Façon glücklich werden.
Haben Sie hier im Kanton Schwyz auch Kontakt zur Kunstszene, die ja in Ausserschwyz recht aktiv ist?
Ja, aber eher losen Kontakt. Umso mehr habe ich mich über die Initiative von SchwyzKulturPlus gefreut, meinen Film einem ausgewählten Publikum zu zeigen.
Ihr Wohnort ist Bäch, Gemeinde Freienbach. Fühlen Sie sich hier daheim?
Meine Heimat sind momentan schon die Berge und das Klettern. Trotzdem fühle ich mich sehr wohl am Zürichsee. Gerade die Region Höfe, aber auch das Hochmoor von Rothenthurm oder der Blick auf Säntis und Speer bedeuten für mich Heimat. Wir sind hier verkehrstechnisch gut angebunden, schnell in Zürich, im Tessin oder eben im Bergell. Besonders liebe ich den Herbst, wenn die Matten rot-braun verfärbt sind und sich auf dem See keine Boote mehr tummeln.
Autor
Höfner Volksblatt & March Anzeiger
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