Musik
«Die Diskriminierung und Ignoranz gegenüber Rockmusik muss aufhören»
Bernd Rieger war in den 80er-Jahren professioneller Musiker und stand mit seiner Band Soho als Vorband von Queen, Scorpions und Aha auf der Bühne. Heute lebt der 62-Jährige in Tuggen und will jungen Künstlern und Bands helfen, im Musikbusiness Fuss zu fassen.
Als ich in die Schweiz kam, merkte ich fassungslos, dass Radiostationen wie Radio24 oder Energy eine ‹no-distorted-guitars›-Regel erlassen hatten. Das hiess, keine harte Rockmusik im Radio, nur weichgespülter Mainstream aus den USA und UK. Das hat meinen Ehrgeiz geweckt, es den Medien zu zeigen», beschreibt Bernd Rieger die Beweggründe, die Talent Academy ins Leben zu rufen. 1982 bis 1989 war Bernd Rieger Keyboarder der Band Soho, tourte mit ihr durch Europa und stand als Vorband von Queen, Scorpions, Aha und James Brown auf der Bühne.
Abruptes Ende
1989 kam dann das abrupte Ende. «Wir standen kurz vor einer Support-Tour mit Queen und waren in London im Studio, um uns darauf vorzubereiten», blickt der 62-Jährige zurück. «Da erreichte uns die schreckliche Nachricht, dass unser inoffizielles sechstes Bandmitglied – der Bruder unseres Sängers und gelegentlicher zweiter Gitarrist – als Hubschrauberpilot der US-Army in Panama von Guerillas mit einer Panzerfaust vom Himmel geschossen worden war und ums Leben kam», erzählt Rieger. «Unser Sänger setzte sich ins nächste Flugzeug, entschwand nach Los Angeles zu seiner Familie und ward nie mehr gesehen.» Die Plattenfirma habe verzweifelt nach Ersatz gesucht, auf die Schnelle aber niemanden gefunden. «Deshalb haben wir schweren Herzens entschieden, aufzugeben. Sonst wäre ich vermutlich heute ein Superstar. Aber das war mir nicht vergönnt», so der gebürtige Wuppertaler. Nach der Auflösung der Band übernahm Rieger mit dem Gitarristen der Band ein Tonstudio in Köln, später betrieb er in Wuppertal den «Music Parc» mit Bühne und Tonstudio. «Ich gehöre zu den Mitentdeckern von Roger Cicero sowie der Band Fury in the Slaughterhouse und habe einiges für BAP und Gianna Nannini machen dürfen», führt Bernd Rieger aus. 2008 fand er einen Job als Qualitäts-Manager und zog nach Tuggen. Hier betreibt er ein Mini-Tonstudio und hat die Talent Academy gegründet. Seine Motivation war, jungen Künstlern auf dem Weg zum Erfolg unter die Arme zu greifen. «Nun,13 1/2 Jahre später, haben wir Bands, die auf Spotify 500 000 Streams und auf Youtube 250000 Views erreicht haben, sechs unabhängige eigene Webradios und spielen, was wir wollen – auch Metal und Hardrock/Punk», resümiert er. Rieger finanziert alles aus dem eigenen Portemonnaie. «Die Re-Finanzierung generiert sich fürs Studio in der Regel aus Crowdfunding, Konzerteinnahmen-Beteiligung bei den Bands und Merchandising», erklärt er. «Aber es bleibt plusminus ein Zuschussgeschäft. Noch. Aber die Akquise läuft. Dann schont das mein privates Portemonnaie vielleicht demnächst. Wenn nicht, ist es auch egal, ich mache trotzdem weiter», sagt Rieger.
«Swissness ist uns sehr wichtig»
«Wir bilden Künstler in den Themen Mixing, Arranging, Composing aus und weiter, und in Zusammenarbeit mit der Voice & Music Academy in Zürich erteilen wir Musikunterricht», beschreibt Rieger die Talent Academy. Produziert werde überwiegend Rock, Metal, Blues, Punk, Soul und Reggae, hin und wieder aber auch HipHop, Jazz oder Singer/Songwriter. Sein Tonstudio und das Fotostudio seiner Frau seien die erste Anlaufstelle für Konzeptierung/ Visualisierung und Arrangieren von Songs, Fotos und Videos. «In der Regel laden wir die Künstler zuerst zu uns ein, sprechen über die Projekte, entwerfen Drehbücher für die Videos und probieren Dinge aus», beschreibt Bernd Rieger. Danach star-tet die Umsetzungs- und Realisierungsphase. «Viele der Videos drehen wir in der Linthebene und den umliegenden Wäldern und Bergen. Swissness ist uns sehr wichtig», führt er aus. Die Talent Academy hat den Hauptsitz zwar in Tuggen, die Studios befinden sich aber in Wetzikon, Uster, Hombrechtikon, Kollbrunn und Rapperswil-Jona. Rieger schart ein Team von rund zehn Personen um sich, «alles Freelancer». «Durch die Corona-Krise haben wir sehr gelitten. Es gab wenige Veranstaltungen und viel Streaming», sagt er. «Aber wir kommen über die Runden.» Zurzeit arbeitet Rieger ehrenamtlich für die Stiftung «Give Children a Hand» des als Bionicman bekannten Michel Fornasier. Bei dem Projekt wirken auch die blinde Sängerin Bernarda Brunovic (bekannt aus «The Voice of Germany») und der Frontsänger von King Zebra, Eric St. Michaels, mit. Ausserdem habe er kürzlich die Aufgabe für ein ganzes Album von Helmi Zürcher zum Thema Verdingkinder gefasst. «Helmi ist selbst ein Betroffener und möchte mit seinen Songs auf das Schicksal all jener hinweisen, die jahrelang darunter gelitten haben», erklärt Rieger.
Lebens-Mission geworden
Mit seinen Künstlern will er erreichen, «dass die Diskriminierung und Ignoranz gegenüber Rockmusik aufhört und wir durch eigene Events und Präsenz in den Medien die so ziemlich wichtigste Musikrichtung wieder an die Oberfläche bringen». Bei «Rock the Ring», Open Air St. Gallen und Greenfield würden Tausende aus der ganzen Schweiz kommen. «Wieso wird das in den terrestrischen Radiostationen völlig ignoriert?», fragt Rieger. Nach seiner Pensionierung in drei Jahren werde er sich voll und ganz diesem Thema widmen: den Job an den Nagel hängen und im Studio arbeiten, eine Lobby gründen und bedienen, unermüdlich kämpfen dafür, dass die Rockmusik ihren Platz in der Musiklandschaft bekommt und stattfinden darf. «Das mache ich solange, bis ich umfalle oder es gesundheitlich nicht mehr geht», sagt er. «Im Grunde ist das meine Lebens-Mission geworden », fügt er an. Der Job als Quality Manager alimentiere das hervorragend. Riegers Herz hängt aber klar an der Förderung der Rockmusik von Tuggen aus. «Ich bin bald Bürger der Schweiz, habe alle Prüfungen bestanden und warte auf den roten Pass.» Tuggen sei seine Heimat, und er sei ein riesiger Fan der Gegend geworden. «Hier kann man unendlich viel unternehmen. Meine Frau Monika und ich fühlen uns hier sehr wohl, und wir versuchen als Power-Paar,die jungen Künstler so gut es geht zu fördern und zu unterstützen.»
Höfner Volksblatt und March-Anzeiger / Irene Lustenberger
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