Bühne
«Das hät mir 80 Jahr lang g’fählt!»
Die 36. Aufführung der Theatergruppe Willerzell ist anders. Anders in dem Sinne, da die Spannung das Stück bis zum Ende trägt. Es ist – natürlich – wieder ein Schwank. Aber der kommt ohne Sauglattismus und vorhersehbares Schenkelklopfen aus.
Situationskomik und haarfeine Intrigen sind die Ingredienzen, die den Willerzeller Abend zu einem Erlebnis der ganz heiteren Art machen. Und selbstverständlich geht das Ganze gut aus, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Die Rollenbesetzung ist geradezu ideal. Da muss man sich nicht verstellen, das wird gelebt, auf und neben der Bühne. Fazit: Diese Theatersaison garantiert mit diesem Stück und mit diesen Akteuren einen Vollerfolg: «Nach so einem Abend, wie dem gestrigen – ihr wart Spitze!»
Einen heiteren Abend geniessen
Endlich ist Stephanstag, ist Weihnachten vorbei! Man kann mit einem Theaterbesuch den lästigen Weihnachtsstress hinter sich lassen, einen heiteren Abend geniessen. Glücklich, wer das Ereignis auf dem Kalenderzettel rot angemerkt, den Besuch in Willerzell zum «must» erhoben hat. Zur Premiere lädt die Theatergruppe Willerzell jeweils zum Apéro, man trifft sich da zum Talk alle Jahre wieder. Und fragt sich wieder einmal, was den Willerzellern diesmal eingefallen ist – denn der Titel des Stücks «Alibi Burehof» ist förmlich nichtssagend.
Wer ist Rolf Kaspari?
Lassen wir ihn, den Autor des Stücks, der in unseren Breitengraden noch unbekannt ist, doch selber erzählen: «Als ich im Sommer des Jahres 2000 in meinem Wohnzimmer sass und wieder einmal mit dem Aussuchen eines Theaterstücks für unseren kleinen Theaterverein aus dem Dorf beschäftigt war, kam ich zu dem Entschluss, ich sollte es doch mal selbst mit dem Schreiben versuchen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nichts mit irgendwelcher schriftstellerischer Tätigkeit zu tun. Doch schon mein erstes Theaterstück wurde vom Köhler Verlag veröffentlicht. Mittlerweile macht es mir grossen Spass, fiktive Personen mit verschiedenen Charakteren eine erfundene Geschichte durchleben zu lassen. Ich wohne im eigenen Haus in einem Dorf bei Bernkastel-Kues an der Mosel. Im Sommer sammle ich Ideen und Eindrücke, die ich im Herbst versuche, zu einem Theaterstück zusammenzusetzen.»
Vielschichtig und überraschend
Wer nur den Titel des Stücks im Inserat liest, ahnt nicht, wie vielschichtig dieses Stück ist, wie der angesprochene Bauernhof nur dank Tierstimmen existiert. Nein, nein, die Handlung spielt über alle Akte in einem «modernen» Wohnzimmer, das auch als Therapieraum für den verletzten Grossvater, Massageraum für Vater und Sohn und Präsentierraum für eine zukünftige Gemeindepräsidentin herhalten muss. Was da im lockeren, aber immer spannenden Handlungsstrang abläuft, zeigt Familienleben pur, gespickt mit Intrigen, Heuchelei, vermeintlicher Verbrüderung. Da hatte Gustav, der Grossvater, einen wüsten Unfall mit dem Traktor. Während er mit schweren Prellungen davonkam, liess die in den Unfall involvierte Strassenlampe ihren «Kopf» hängen. Grossvater war jetzt auf einen Rollator angewiesen, das heisst, wäre: «So ein Ding benütze ich nie!» Da die Frau seines Sohnes in Kur ist, bestellt man eine Altenpflegerin auf den Hof. Die ist derart geschickt, dass in dem behandelten Grossvater die Erkenntnis reift: «Jetz weiss ich äntlich, was mir 80 Jouhr gfählt hät!» Ja, Hand aufs Herz, wer ist nicht empfänglich für die wohltuenden Einheiten einer kompetenten, jungen, hübschen Pflegerin. Die Dienste dieser jungen Frau verhelfen auch Sohn und Grosskind (erwachsen) zu schmerzhaften und anderen Gefühlen. Die Schwester des Bauern, die von allen so «heissgeliebte», kommt ins Heimatdorf, kandidiert als Gemeindepräsidentin und möchte für den Fall, dass sie gewählt wird, ihr Bauernkaff mit Industrie aufwecken – ein Graus für die Bauern.
Irrnisse, Wirrnisse und echte Liebe
Alle Rollen sind diesmal geradezu ideal besetzt. Man müsste alle einzeln loben für ihr Spiel. Doch versuche ich – ohne Hintanstellen der andern – einige Darsteller herauszuheben. Greti Oberholzer, Gemeindepräsidentin in spe, ist ganz Dame, hat ihre Auftritte, zieht mit unnachahmlicher Mimik in ihren Bann. Ihre echte bezirksrätliche Vergangenheit kommt da durch, lässt sie noch glaubwürdiger erscheinen. Bauer, Grossvater, Viehhändler und Altenpflegerin, sie können sich in ihren Rollen ausleben, «müssen nicht spielen». Und der Schluss – mit Hinterlist und Bauernschläue herbeigeführt, ist nicht absehbar, überraschend. Wie in einer «echten» Komödie eben.
Einsiedler Anzeiger / lj
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